Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO; § 69 FGO)
Durch die Einlegung eines Einspruchs gegen den Steuerbescheid oder durch die Erhebung der Klage wird bekanntlich der Vollzug des Bescheides nicht gehemmt. Möchte oder kann man nicht zahlen, muss man also die Aussetzung der Vollziehung beantragen (AdV). Voraussetzungen sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides oder eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte für den Betroffenen als Folge der Vollziehung. Die AdV kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden (s. Stichwort „Sicherheitsleistung“).
- AdV-Gründe: Im Alltagsgeschäft wird zur Begründung der AdV regelmäßig auf die Einspruchsbegründung verwiesen; das genügt meist auch für eine positive Entscheidung über die Aussetzung. In kritischen Fällen, also insbesondere bei hohen Steuerbeträgen wie auch bei einem nicht so starken Rechtsstandpunkt des Mandanten, reicht das nicht aus. Dann müssen die „ernsthaften Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des Bescheides herausgearbeitet werden, ohne damit zu behaupten, der Bescheid sei nicht rechtmäßig. Es geht nicht darum, wer Recht hat, sondern nur um die Gesichtspunkte, die gegen den Bescheid sprechen. Ob sie letztlich durchgreifen, bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
- Rechtsbehelf gegen die Ablehnung der AdV: Lehnt das FA den AdV-Antrag ab, kann der Steuerpflichtige dagegen Einspruch einlegen und geltend machen, das FA habe sein Ermessen nicht richtig ausgeübt. Das bringt aber regelmäßig keinen Erfolg. Nach der Ablehnung der AdV durch das FA empfiehlt es sich daher, gleich einen neuen AdV-Antrag beim zuständigen Finanzgericht zu stellen (§ 361 Abs. 5 AO i.V.m. § 69 Abs. 3 und Abs. 5 Satz 3 FGO). Dieser Antrag ist kein Rechtsbehelf, in dem die Entscheidung des Finanzamts überprüft wird. Vielmehr handelt es sich um ein eigenes, neues Antragsverfahren vor dem FG. Der Antragsteller kann also sein Glück beim FG ohne Vorbelastung noch einmal versuchen und sollte dazu eine vertiefte Begründung seines AdV-Antrags einreichen. Für diesen AdV-Antrag beim FG gelten keine Fristen; Voraussetzung ist nur die vorherige Ablehnung durch das FA.
- AdV jeweils pro Verfahrensabschnitt: Die AdV wird seitens des FA regelmäßig zunächst bis einen Monat nach Abschluss des Einspruchsverfahrens gewährt. Im Falle einer ablehnenden Einspruchsentscheidung muss also für das FG-Verfahren ein neuer AdV-Antrag gestellt werden. Auch dieser AdV-Antrag muss erst wieder beim FA gestellt werden (§ 69 Abs. 4 FGO). Durch die negative Einspruchsentscheidung hat sich die Rechtslage bezüglich der ernsthaften Zweifel (die die AdV schon bisher gerechtfertigt haben) im Regelfall nicht geändert. Das Finanzamt hat in der Einspruchsentscheidung noch einmal seinen Standpunkt verdeutlicht, meist aber nicht so, dass nunmehr alle Gründe, die für die Ansicht des Steuerpflichtigen sprechen, beseitigt wären. Schon das FA wird daher meist dem erneuten AdV-Antrag entsprechen. Lehnt es ab, kann der Antrag beim FG nach § 69 Abs. 3 FGO gestellt werden (s. oben).
- AdV bei Grundlagenbescheiden: AdV ist hinsichtlich des Grundlagenbescheides zu beantragen. Wird dieser von der Vollziehung ausgesetzt, sind zwingend auch alle Folgebescheide auszusetzen (§ 361 Abs. 3 Satz 1 AO). Mit den Argumenten gegen den Grundlagenbescheid kann der Folgebescheid weder im Hauptsacheverfahren angegriffen werden, noch kann damit die Aussetzung der Vollziehung des Folgebescheides erreicht werden. Über eine Sicherheitsleistung ist allerdings grundsätzlich erst bei der Aussetzung des Folgebescheides vom Folgebescheid-FA zu befinden (§ 361 Abs. 3 Satz 3 AO).
- Freiwillige Zahlung: Zulässigkeit und Begründetheit eines AdV-Antrags hängen nicht davon ab, ob die auszusetzende Steuerschuld bereits bezahlt ist, auch nicht „atmosphärisch“ (jedenfalls beim FG). Nach Zahlung richtet sich der Antrag formell auf „Aufhebung der Vollziehung“, also auf Rückzahlung der bereits gezahlten Steuern.
Wird dem Antrag auf AdV stattgegeben, so ist der Steuerpflichtige nicht gehindert, gleichwohl die Steuern zu zahlen (s. nachfolgend „Vorteilhaftigkeit der AdV“).
- Vorteilhaftigkeit des AdV-Verfahrens: Die Einleitung eines AdV-Antragsverfahrens kann aus zwei Gründen vorteilhaft sein,
– weil der Steuerpflichtige die Steuer noch nicht zahlen muss (Liquiditätsvorteil),
– im Falle eines AdV-Antrags beim FG: weil auf diese Weise in relativ kurzer Zeit (vier bis zehn Monate) die vorläufige Rechtsauffassung des Finanzgerichts getestet werden kann, auch wenn das FG nur eine summarische Prüfung vornimmt.
- Wirtschaftlichkeit: Dem Liquiditätsvorteil steht bei der AdV das Risiko der Zinsbelastung gegenüber. Auch bei guten Erfolgsaussichten kann sich Zahlung empfehlen: Die Verzinsung mit 6 % p.a. im Erfolgsfall ist derzeit am Markt kaum zu toppen.
Bei nicht überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist es – wenn nicht aus Liquiditätsgründen geboten – wegen der Verzinsung von 0,5 % pro angefangenem Monat, also durchschnittlich 6 % per anno, grundsätzlich nicht ratsam, die AdV in Anspruch zu nehmen bzw. überhaupt zu beantragen.