Sachverhalt

Der Sachverhalt ist das größte Problem für den Erfolg anwaltschaftlicher Tätigkeit in Finanzgerichtsverfahren. Das liegt allerdings sehr häufig nicht am Sachverhalt, sondern am Prozessvertreter. Viele vermischen in der Klagebegründung in einer faszinierenden Weise Rechtsausführungen und Sachverhalt. Die Gefahr: Der Sachverhalt kommt zu kurz. Die Folge: Sehr viele finanzgerichtliche Verfahren gehen eigentlich schon in der 1. Instanz (beim FG) verloren, selbst wenn sie endgültig erst im Revisionsverfahren abgewiesen werden. Es gibt keine Statistik dazu. Nach meiner Einschätzung ist aber der Grund für viele verlorene Steuerprozesse weniger das Steuerrecht als vielmehr die mangelhafte Sach­verhalts­darstellung.

  • Mangelhafter Sachverhalt: Der Sachverhalt ist häufig
    • nicht hinreichend recherchiert,
    • nur unvollständig vorgetragen,
    •  in entscheidenden Punkten nur oberflächlich vorgetragen,
    •  mit falscher Gewichtung vorgetragen,
    • so vorgetragen, dass das Wesentliche, auf das es für die zu entscheidenden Rechtsfragen ankommt, nicht herauskommt,
    • nur als Behauptung ohne Beweisangebot (s. Stichwort) angeboten und damit – falls bestritten – nicht unstreitig gestellt,
    • teilweise oder weitgehend in die Rechtsausführungen gemixt,
    • durch gleichzeitige subjektive Wertungen unbrauchbar gemacht.
  • Bedeutung des Sachverhalts: Das Wichtigste für den Erfolg in einem Prozess ist der Sachverhalt, es sind nicht die Rechtsausführungen. „Da mihi facta, dabo tibi ius“ oder „jura novit curia“ – das kennt jeder, aber zu wenige Prozessvertreter verinnerlichen den Sinn, nämlich dass es ihre Hauptaufgabe und Hauptpflicht ist, den Sachverhalt beizusteuern. Kluge Rechtsüberlegungen anzustellen oder Wertungen zu treffen, steht an zweiter Stelle (s. weiter unten „Sachverhalt und Prozesserfolg“).

Es ist daher ein massiver Fehler, sich bei der Sachverhaltsdarstellung lediglich auf die Einspruchsentscheidung zu beziehen bzw. den Sachverhalt aus der Einspruchsentscheidung einfach zu übernehmen.

  • Sachverhalt beim BFH: Der BFH ist eine reine Rechtsinstanz, ist also an die im FG-Urteil getroffenen sachlichen Feststellungen gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Das veranlasst viele Prozessvertreter, auf eine erneute Darstellung des Sachverhalts zu verzichten und gleich medias res in die Revisionsgründe einzutauchen. Angesichts der überragenden Bedeutung des Sachverhalts für jede Rechtsentscheidung ist das ein Fehler. Auch dem BFH sollte – unter jeweiliger Bezugnahme auf die vom FG getroffenen Feststellungen – der relevante Sachverhalt nochmals so vorgestellt werden, wie es erforderlich ist, um das Rechtsproblem, das sich daraus ergibt, und die eigenen Rechtsausführungen verständlich zu machen.
  • Vorgehensweise bei der Sachverhaltsdarstellung: Weil der Sachverhalt das Wichtigste an der Klageschrift ist, sollten zu Beginn der Arbeit an der Klagebegründung nicht mittels Rechtsrecherche die abstrakte Rechtslage abgegrast und mehrere Materialordner mit Kopien von (später weitgehend irrelevanter) Rechtsprechung und Schrifttum angelegt werden. Der erste Schritt muss es sein, den Sachverhalt sorgfältig zu recherchieren und dann schriftlich zu fixieren, um ihn als Entwurf vorab dem Mandanten mit der Bitte um Prüfung/Ergänzung/Diskussion zuschicken. Erst dann geht es an die Rechtsausführungen.
  • Wechselwirkung von Sachverhalt und materiellem Recht: Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass der darzustellende „relevante Sachverhalt“ von der entscheidungserheblichen Rechtsfrage abhängt. Diese muss man also in der ersten Vorbereitungsphase einer Klage hinreichend analysieren und eingrenzen, wenn auch noch nicht endgültig im Griff haben. Dazu muss man sein Hirn einsetzen, nicht eine Materialsammlung, die den Blick für das Wesentliche zustellt. Ein paar gelesene Beiträge zur Pro­blematik (Kommentarstellen, Urteile o. Ä.) reichen zunächst allemal.
  • Sachverhalt und Prozesserfolg: Die Rechtsfrage in einem Finanzgerichtsprozess stellt sich nicht theoretisch, sondern immer nur aus dem konkreten Sachverhalt. Folglich muss der Sachverhalt alle Sachverhaltselemente enthalten, die auf die Rechtsfrage einwirken bzw. von Bedeutung sind. Die eigentliche Kunst der Prozessführung besteht darin, dass sich aus dem Sachverhalt nicht nur die entscheidungserhebliche Rechtsfrage ableitet, sondern er sich so darstellt, dass er auch die Lösung dieser Rechtsfrage unter Berücksichtigung des Gesetzes in der angestrebten Weise trägt. Dazu kann man natürlich nicht den Sachverhalt verdrehen, verfälschen, verkürzen, aufbauschen usw. usw. Man hat den Sachverhalt richtig und wahrheitsgemäß darzustellen, aber einerseits nur den für die Rechtsfrage relevanten Sachverhalt und andererseits in Aufbau, Gewichtung, Ausführlichkeit so, dass die Darstellung es rechtfertigt bzw. nahelegt, den späteren Rechtsausführungen und der dort im Interesse der Mandantschaft vertretenen Rechtsauffassung zu folgen.